Textiltechnik: Garne

Textiltechnik: Garne
Textiltechnik: Garne
 
Der Begriff Garn wird als Sammelbegriff für fadenförmige textile Gebilde benutzt. Bis zum Aufkommen von maschinellen Verarbeitungsverfahren im Zeitalter der industriellen Revolution wurden Fasern von Hand oder mithilfe von Spindeln zusammengedreht.
 
Einfache Garne können bereits bei der Spinnfaser- oder Filamentspinnerei entstehen. Ansonsten wird aus den vorbereiteten Rohfasern (Stapelfasern) in einem mehrstufigen Arbeitsprozess ein aus mehreren Fäden bestehendes gedrehtes Garn hergestellt.
 
Die zu Ballen gepressten Rohfasern werden vor dem Spinnvorgang aufgelockert und gereinigt, geordnet und parallel ausgerichtet. Sie bilden ein Faserband, das verstreckt (unter Zug aufgewickelt) und gedoppelt (aus zwei oder mehr Bändern zusammengeführt) wird. Zur Bildung des Vorgarnes wird das verstreckte Faserband leicht zusammengedreht. Anschließend wird das Vorgarn zum Feingarn versponnen.
 
Um glatte und gleichmäßige Garne zu erhalten, wird das Faserband oft zusätzlich gekämmt, wodurch die Fasern verstärkt parallel ausgerichtet und kurze Fasern bis zu einer bestimmten Länge herausgelöst werden. Letztere können zu Grobgarnen oder anderen Produkten weiterverarbeitet werden. Gekämmte Baumwolle hat Fasern von mindestens 29 Millimetern Länge, »supergekämmte« Baumwolle hat mehrere Kämmvorgänge durchlaufen. Auch Wolle wird durch Kämmen verfeinert. So ist Kammgarn ein glattes, relativ stark gedrehtes Wollgarn, dessen lange Einzelfasern parallel nebeneinander liegen.
 
 Spinnverfahren
 
Je länger die Fasern sind, desto feiner und fester lassen sie sich verspinnen. Längere Einzelfasern ergeben in der Regel glattere, weniger voluminöse Garne beziehungsweise Textilien als kürzere Einzelfasern. Bei Naturfasern ist das Längenwachstum prinzipiell begrenzt, aber auch die Gewinnung und Aufbereitung der Fasern ist ausschlaggebend für die Länge der Garne. Bei Chemiefasern kann man Filamente von nahezu unbegrenzter Länge herstellen. Bei Mischgarnen richtet sich die geschnittene oder gerissene Länge der Chemiefasern nach der Länge der Naturfasern, mit denen sie zusammen verarbeitet werden, und nach dem jeweiligen Spinnverfahren.
 
Damit sich die Fasern maschinell leichter verarbeiten lassen und beim Spinnen nicht reißen und stauben, erhalten sie einen Überzug aus Fetten oder Ölen, die als Schmälze oder Spulöle bezeichnet werden.
 
Die einzelnen Spinnverfahren sind dem jeweiligen Fasermaterial angepasst und arbeiten nach unterschiedlichen technischen Prinzipien. Heute sind vor allem das Ringspinnen und das Rotorspinnen von Bedeutung.
 
Baumwolle wird am häufigsten nach dem Dreizylinderringspinnverfahren verarbeitet, bei dem das Streckwerk der Ringspinnmaschine aus drei Walzen besteht. Über diese drei Walzen wird das Vorgarn zur endgültigen Feinheit verstreckt, um anschließend verdreht und aufgewickelt zu werden. Das Verziehen des Garnes funktioniert über unterschiedliche Geschwindigkeiten der Walzen. Wenn sich die jeweils nachfolgende Walze schneller dreht als die vorhergehende, wird das Garn auseinander gezogen. Im anschließenden Spinnvorgang wird das Vorgarn durch den Ringläufer gedreht. Der Ringläufer ist eine Öse, die auf einer Gleitschiene sitzt. Er wird von der Rotation des Garnträgers (Spindel) mitgenommen und überträgt die Drehung somit auf das Garn. Mit der Ringspinnmaschine können besonders feine Garne hergestellt werden.
 
Die Spinngeschwindigkeit bei der Rotorspinnerei von 150 bis 200 Metern pro Minute ist gegenüber dem Ringspinnen mit 20 Metern pro Minute wesentlich höher. Da zudem kein Vorgarn gebildet wird, ist das Rotorspinnen rationeller als das Ringspinnverfahren. Das Rotorspinnverfahren eignet sich jedoch nicht für alle Fasern, weil Garne entstehen, bei denen im Innern die Fasern wirr angeordnet und außen von anderen Fasern umschlungen sind. Rotorgarne sind daher stärker strukturiert und weniger fest als die Ringspinngarne, bei denen die Fasern stärker parallel ausgerichtet sind.
 
Bei Wolle und wollähnlichen Chemiefasern sind vor dem eigentlichen Spinnen noch vorbereitende Arbeitsschritte nötig. Das gesamte Verfahren wird als Streichgarnspinnerei bezeichnet. Dabei wird zunächst die gewaschene, sortierte Rohwolle oder die Reißwolle als gepresste Ballen angeliefert. Die Rohfasern werden schichtweise dem Krempelwolf, der ersten Stufe in der Spinnvorbereitung, zugeführt, in dem feine Drahthäkchen dafür sorgen, dass sich verklebte und verhakte Fasern voneinander lösen. Nach dem Mischen verschiedener Faserarten, Einfetten (Schmälzen) und Wiegen werden sie erneut beim Krempeln in einem mit Häkchen besetzten Zylinder bearbeitet und in Einzelfasern zerlegt. Dort entsteht ein Faserflor, in dem die Fasern parallel ausgerichtet werden. Der Faserflor wird in schmale Bändchen aufgeteilt und im Nitschelwerk zwischen sich gegenläufig bewegenden Bändern zum Vorgarn gerundet. Nach der Spinnvorbereitung kann das Garn auf allen klassischen Spinnmaschinen, im Rotorspinnverfahren allerdings nur eingeschränkt, ausgesponnen werden.
 
Aus Garnen werden in einem weiteren Arbeitsprozess Zwirne hergestellt. Zwirne entstehen durch das Zusammendrehen von mindestens zwei Garnen. Dadurch erreicht man eine höhere Reißfestigkeit und je nach Material und Zwirndrehung besondere Effekte. Garne können auch durch besondere Verfahren gestaltet werden, wie Flammen-, Noppen-, Schlingen- und Kräuselgarne. Diese erzeugen bei der Weiterverarbeitung besondere Farb- und Struktureffekte (Effektgarn).
 
Dr. Cornelia Voss
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Textiltechnik: Gewebe, Maschenware, Filze und Vliesstoffe
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Textiltechnik: Natur- und Kunstfasern
 
 
Adebahr-Dörel, Lisa, u. a.: Kleine Textilkunde. Hamburg 151997.
 Adebahr-Dörel, Lisa / Völker, Ursula: Von der Faser zum Stoff. Textile Werkstoff- und Warenkunde. Hamburg 311994.
 
Beurteilungsmerkmale textiler Faserstoffe, bearbeitet vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Berlin. 4 Bände. Bielefeld 1986.
 
Fachwissen Bekleidung, Beiträge von Hannelore Eberle u. a. Haan 51998.
 
Grundlagen textiler Herstellungsverfahren, bearbeitet von Rolf Goldacker u. a. Leipzig 1991.
 Heudorf, Claus: Warenverkaufskunde für den Textilhandel. Rinteln 51994.
 Schierbaum, Wilfried: Bekleidungs-Lexikon. Berlin 31993.
 Seiler-Baldinger, Annemarie: Systematik der textilen Techniken. Neuausgabe Basel 1991.
 
Textile Faserstoffe. Beschaffenheit und Eigenschaften, herausgegeben von Wolfgang Bobeth. Berlin u. a. 1993.

Universal-Lexikon. 2012.

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